Die Kunst sich einzulassen

Ein Erfahrungsbericht meines ersten Psycho-Marathons

In meinen ersten Marathon habe ich mich eher aus Verzweiflung, als aus freier Entscheidung hineingestürzt. Ich war in depressiver Stimmung, mein Leben war zu einer trostlosen Sackgasse geworden und ich hatte Angst zu Handeln, denn ich erwartete nur Schlimmeres. Zuvor hatte ich noch keinerlei therapeutische Erfahrungen. Ein Bekannter legte mir nahe Irma aufzusuchen.
Ich bin zuerst in die offene Selbsterfahrungsgruppe gegangen, dort habe ich mich spontan zum Marathon angemeldet.
 
Der Marathon startete kurz vor Mitternacht. Nach dem "Einchecken" setzten wir uns in den Kreis. Irma erzählte was in einem Marathon passiert und was das Ziel eines Marathons ist. Als ich hörte, dass wir zwei Nächte und Tage nicht schlafen, nicht essen und immer zusammen sein würden, war ich bedient. Und dann kam das Allerschlimmste, Irma wollte von uns wissen, was wir von dem Marathon erwarten und sie hoffte, dass wir viel erwarten. Diese große Erwartungshaltung an mich, das hat mir gereicht, ich wollte am liebsten gleich wieder gehen. Ich wusste nicht was ich wollte und von der ganzen Struktur, die mir fremd war, fühlte ich mich mal wieder unter einem alt bekannten Leistungsdruck. Als ich das mitgeteilt hatte, meinte Irma dazu, dass wir zuerst klären müssen was mir fehlte. Das wusste ich sofort, mir fehle eine Partner, ein Job, Geld und eine Wohnung und ich glaubte nicht, dass ich es hier bekommen könnte. Es wurde mir bestätigt, dass hier keine Wohnungen und keine Jobs vermittelt werden würden. Ich hatte nichts zu verlieren.
 
Irgendwann haben wir das Umarmen geübt. Nach ein paar Umarmungen wollte ich nicht mehr, ich habe mich an den Rand gesetzt. Dann kam ihr Assistent zu mir und sagte nur:" Mach´s trotzdem." Ich habe gehorcht, was ich normalerweise nicht mache. Bei den nächsten Umarmungen kamen mir immer mehr die Tränen. Die körperliche Nähe, die einfach herzlich und nicht sexuell war, hat mich sehr berührt. Ich hatte das Gefühl, ich würde schmelzen, mich auflösen. Anschließend haben wir getanzt, Meditationen und Schreibübungen gemacht, ich fand meinen Spaß daran und habe den Überblick verloren. Plötzlich fühlte ich mich kraftvoll und ich war gerne dabei.
 
Ich weiß noch, dass wir einen Lieblingspartner wählen sollten, mit dem wir jede Teepause verbringen sollten, der für uns immer da war und umgekehrt. Es hat mir gefallen, dass jemand immer für mich da war. Immer wieder hatte ich einen "Hänger" und habe gedacht, ich kann nicht mehr, aber die Energie der Gruppe war so stark, dass diese Phasen vorbei gingen. Es ist als würde man getragen werden. Mein Wohlempfinden weitete sich auf die ganze Gruppe aus.
Aber allmählich ging mir mein Lieblingspartner mit seiner Fürsorge zunehmend auf die Nerven. Er war zu fürsorglich, ich empfand es zu übertrieben, wenn er mir meine Teetasse reichen wollte, damit ich trinken kann. Ich konnte es nicht mehr ertragen von ihm umsorgt zu werden und ich wollte für ihn nicht mehr sorgen, es war mir zu eng. Ich wollte einen anderen "Lieblingspartner". Das wurde mir nicht gestattet. Ich sollte die Beziehung vertiefen und nicht einen anderen Partner wählen. Ich wurde zunehmend aggressiver, ich wurde zu einer Bestie, meinem Lieblingspartner gegenüber. Wir haben gottseidank viel mit Aggressionen gearbeitet und ich lernte über mich, wie ich Nähe selbst zerstöre.
 
Als wir nach zwei Tagen wieder schlafen durften, war ich gar nicht müde und wir haben noch lange in die Nacht getanzt und uns umarmt.
 
Innerhalb von zwei Monaten nach dem Marathon habe ich einen Job gefunden, habe Geld verdient, eine Wohnung hatte ich auch. Ein Partner kam erst nach ca. vier Monaten.
 
Ich habe danach noch viele Marathons mitgemacht. Jeder war anders, aber immer sehr intensiv. Meinen ersten Marathon werde ich allerdings nie vergessen.
 
von Petra